Liederabend | Wigmore Hall, London | Dezember 2011

Mit intuitiver Musikalität und grandioser Technik zeigte Anne Schwanewilms in diesem makellosen Liederabend mit dem Pianisten Charles Spencer wieder einmal, wie sehr sie die Skala der Emotionen – von unbeschwerter Freude bis zu tiefem Schmerz – beherrscht.

Die Lieder aus Mahlers ‚Des Knaben Wunderhorn’ boten Schwanewilms Gelegenheit, eine große Bandbreite an Charakterbeschreibungen und spielerischen Situationen darzustellen, sich sowohl Innigkeit als auch Ausgelassenheit zu Eigen zu machen. (…) In ‚Ablösung im Sommer’ und im folgenden ‚Ich ging mit Lust’ konnte Schwanewilms dank ihrer superben Atemtechnik weite rhapsodische Bögen gestalten; ihr samtener Ton war wie ein Tuch mit vielen Farben, und sie fing damit die unzähligen Farbtöne der Natur ein – von der blühenden Sanftheit des „grünen Waldes” bis zum silbernen Schein der süßen Liebkosungen des Mondes.

(…) In ‚Lob des hohen Verstandes’ (…) genoss es Schwanewilms, die individuellen Stimmen jedes „Sprechers” darzustellen und schloss mit einem erschreckend realistischen Eselsschrei! (…) im letzten Lied der Gruppe – ‚Wo die schönen Trompeten blasen’ – breitete Schwanewilms ihren schimmernden, satten Klang mit voller Wirkung aus und deutete damit auch den Übergang an von der drolligen Naivität der frühen Mahler-Lieder zur vielschichtigen emotionalen Tiefe der fünf Rückert-Lieder des Komponisten. Hier erreichten Schwanewilms und ihr Begleiter majestätische Höhen musikalischen Könnens:

Die nachdenkliche Intimität von ‚Liebst du um Schönheit’ war besonders umwerfend. Schwanewilms kann eine mühelose, schwebende Sequenz singen, einen Tonfaden in die Länge ziehen, endlos und ätherisch bis sich, fast schwerelos, das aufregend zarte Pianissimo in Luft auflöst. Sie verbindet Eloquenz und Grazie mit tiefem emotionalem Verständnis, packend eindringlich in einer faszinierenden Wiedergabe von ‚Um Mitternacht’. Hier wurde ihre nachhaltige Verankerung in der tieferen Lage erkennbar (…) Das letzte Lied ‚Ich bin der Welt abhanden gekommen’ führte in die Tiefen des Ausdrucks und endete mit einer Gänsehaut erzeugenden Coda im Piano; die anhaltende Stille, die daraufhin die Musiker und die Zuhörer gleichermaßen umfasste, war ein Zeugnis für das epische Ausmaß der heraufbeschworenen und übertragenen Emotionen.

Schwanewilms scheint alles zu haben: Ausnahmslos präzise Intonation, einen lupenreinen, schimmernden Sound, fast übermenschliche Atemtechnik. Sie hat auch eine beträchtliche Bühnenpräsenz und Selbstbewusstsein: Vollkommen die Stimme und das Material beherrschend, ließ sie ein tiefes Verständnis dieser Lieder erkennen und erhielt sich doch ein Gefühl von Frische und Spontaneität. Die Kommunikation zwischen Sängerin und Pianist, und mit den Zuhörern, war ehrlich und großzügig. Kein Wunder, dass der Applaus stürmisch war.

Claire Seymour, operatoday

 

Humor und Metaphysik in einem vollendeten Liederabend dieser faszinierenden Sopranistin

 (…) Anne Schwanewilms, die deutsche Sopranistin, die in Strauss’ Musik glänzt, sollte ein leuchtendes Beispiel für jeden Sänger sein hinsichtlich ihrer Ungezwungenheit, ihres Charmes und darin, was man mit den Händen anfängt im exponierenden Licht eines Liederabends. An diesem Abend waren die Höhepunkte zwei der schönsten Lieder aller Zeiten, Mahlers, aber sie arbeitete sich zu ihnen vor mit einer Reihe von humorvollen, jenseitigen und diesseitigen Charakterisierungen. Da waren, zum Beispiel, in den ersten zehn Minuten, sechs ländlich-charmante Charaktere aus Mahlers frühen Des Knaben Wunderhorn Vertonungen verständlich zu machen. (…) Begleitet von kühlen Kuckucksrufen und klagenden „Ades“, später auch einer schockierenden Ansammlung von stimmgefährdenden Eselsrufen – und immer ein Herz und eine Seele mit der humorvollen ‚Einfalt’ des Pianisten Charles Spencer – hätte sich die Bedeutung dieser Lieder von den Schmerzen und Freuden des einfachen Volkes wahrscheinlich auch ohne jede Übersetzung erschlossen. Aber natürlich trägt dazu bei, dass Schwanewilms sich in ihrer eigene Sprache so wohl fühlt – weshalb sie auch die nobelste aller Marschallinnen in Strauss’ Der Rosenkavalier ist.  

(… in Liszts Schiller-Vertonungen …)  zeigten uns zwei Wassersirenen, dass Dvořáks Rusalka eine ideale Rolle für Schwanewilms’ übernatürlich schöne Stimmfarben wäre (…). Und die Art, wie sie sich als Erzählerin auf die Geschichte der Loreley einlässt und wieder aus ihr heraustritt, mit einfachen aber beredten Gesten, das war ein weiteres Modell für Erzählkunst im Konzert.  

Zwangsläufig waren Mahlers fünf Rückert-Lieder die ultimative Herausforderung. Der Dialog zwischen dem Geist eines Soldaten und seiner untröstlichen Liebsten ist vielleicht das tiefgründigste der Wunderhorn – Lieder; mit „Wo die schönen Trompeten blasen“ begann der Zyklus leuchtend. „Um Mitternacht“ – ebenso wie zwei der Liszt-Lieder in der ersten Konzerthälfte, zeigten das heldische Strahlen dieses Soprans, die Kraft (…). (…) reine, unforcierte Schönheit diente dazu, Mahlers am tiefsten selbstbeobachtende Meditation zu erhellen: „Liebst Du um Schönheit“ mit dem Gedanken „liebe mich nicht wegen meiner Schönheit, Jugend oder meines Reichtums, sondern allein um der Liebe willen“ war so vollkommen phrasiert und innerlich coloriert, wie es auf dieser Welt nur sein kann. Und die letzte Strophe von „Ich in der Welt abhanden gekommen“ nahm uns tief hinein in eine konzentrierte Versenkung, wie sie nur in den bedeutendsten Interpretationen – von Janet Baker, Lorraine Hunt Lieberson, Dietrich Fischer-Dieskau – vorher zu hören war. Spencers Ruhe half sicherlich dabei, die intime Stille zu gestalten, wie die Sopranistin großzügig anerkannte, aber es war Schwanewilms, die hier zu wahrer Größe gelangte.

David Nice, theartsdesk, 9. Dezember 2011