Sopran mit Wunderstimme (Amsterdam 2011)

Anne Schwanewilms ist diese Woche in Amsterdam für den Rosenkavalier von Richard Strauss, in dem sie die Rolle der Feldmarschallin Fürstin Werdenberg singen wird, begleitet vom Philharmonischen Orchester Rotterdam und Sir Simon Rattle. Die Kenner freuen sich, denn niemand verkörpert die Rolle der Marschallin vollkommener als sie. Schwanewilms hat gute Neuigkeiten. Es kommt eine neue Aufnahme der Vier letzten Lieder: „Ich habe die Lieder mit dem Gürzenich-Orchester und Markus Stenz aufgenommen. Es war ein Fest. Es ist, als ob Strauss die Lieder für mich geschrieben hätte, denke ich manchmal.“ Wie ist das, so eine Wunderstimme zu haben? „Ach“, sagt Schwanewilms. Das mit der Wunderstimme sieht sie selbst überhaupt nicht so. „Aber es ist natürlich wunderbar, wenn das so rüberkommt.“ Dennoch hütet sie sich vor Eitelkeit. Sie steht lieber mit beiden Beinen auf dem Boden, solide verankert in der Erde, so wie es sich für eine ehemalige Gärtnerin gehört – ihr Beruf bevor sie Sängerin wurde. „Ich habe den Beruf der Sängerin gewählt, um meine eigene Seele zu erkunden. Ich will wissen, wie ich bin. Durch die Musik trifft man auf Welten und Emotionen, die nicht selbstverständlich die eigenen sind, und das ist schön. Zum Beispiel erfahre ich traurige Musik als eine Bereicherung, weil ich von Natur aus kein trauriger Mensch bin. Aber die echten Gefühle, die hört man genau in der Stimme. Und deshalb bin ich gern Sängerin.”

Es hat aber gedauert bis Anne Schwanewilms wusste, was für eine Sängerin sie war. Sie beschreibt es selbst als „einen langen, schmerzhaften Weg“. „Ich habe als tiefer Alt angefangen, ging dann vom Mezzosopran zum hohen Mezzo, dann zum jugendlich-dramatischen Sopran, aber damit war ich nicht glücklich. Dann hätte ich auch Gärtnerin bleiben können. Alles ging nur über die Kraft, die Lautstärke, und das finde ich musikalisch wenig interessant. Und zu jedem neuen Fach gehörte ein neues Repertoire. Das war eine ziellose Zeit.

 Erst in den Jahren 2001, 2002, 2003 kam ich darauf, dass ich ein lyrischer Sopran bin. Damals öffneten sich psychisch die Tore, und es offenbarten sich Töne, die ich von mir nicht erwartet hätte. Es stellte sich heraus, dass ich oben eine Glockenstimme hatte, mit einer Zartheit, die mich selbst völlig überraschte. Aber wenn ich hätte wählen können, hätte ich mir diese Stimme nicht ausgesucht (lacht). Ich wollte immer eine dramatische Stimme, so wie Christa Ludwig und Brigitte Fassbaender. Tief, reich. Aber nun ja, das bin ich nicht. 

(…) Sie sang 1996 in Bayreuth in Der Ring des Nibelungen die Gutrune und realisierte: Ich glaube, dass ich doch ein Sopran bin. Den Wechsel in das Stimmfach machte sie ohne Lehrer. „Ich wollte ich selbst sein, ohne jemand nachzuahmen wie ein Papagei. Wenn ich zu Elisabeth Schwarzkopf gegangen wäre, hätte ich wie Elisabeth Schwarzkopf geklungen“. Es war die richtige Wahl. Und sie erntet noch heute täglich die Früchte, als einer der meistgeliebten Soprane dieser Zeit, aber „Gott sei Dank“ ohne den Starrummel um eine Anna Netrebko, mit der sie keineswegs würde tauschen wollen.

Und nun kommt sie hierher, um in der Nederlandse Opera die Marschallin zu singen. (…)

Die Feldmarschallin: Die Rolle ist eine von Schwanewilms Lieblingsrollen, weil sie so lebensnah ist. In der Oper singt sie über das Leben einer älter werdenden Frau, mit allen dazu gehörenden existentiellen Zweifeln. „Dies ist das 31. Mal, dass ich diese Rolle singe und das ist eigentlich noch nicht so viel. Ich finde noch jedes Mal neue Farben, neue Zugänge, neue Einsichten in die Rolle, und bestimmt hier in Amsterdam, in der Inszenierung von Brigitte Fassbaender. Sie hat wieder eine ganz andere Sicht auf die Marschallin. „Sie ist nicht so melancholisch, nicht so selbstgenügsam. Wenn sie singt: ‚Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding’ hat das nun einen leichteren Ton, auch leicht ironisch. ‚Ach was, ja, ich werde älter, aber was kann ich daran ändern?’ Und das nicht mit tiefem Selbstmitleid“ – Schwanewilms singt dem Berichterstatter die Zeile noch einmal vor, diesmal mit dick aufgesetztem Gram – „Das kann sehr schnell sehr fad werden. Ich muss noch herausfinden, ob das alles rüberkommt, denn mit der Leichtigkeit will ich auch zum Ausdruck bringen, dass das alles natürlich nicht so ganz lustig ist. Der fortwährende doppelte Boden macht die Rolle so interessant. Das ist Theater!” 

Und glücklicherweise ist da immer die Musik als Stütze, sagt Schwanewilms. Schauspielerin ohne Musik würde sie nicht gern sein. „Das würde ich nicht können. Als Sängerin weiß ich von Zeile zu Zeile, wohin es geht. Eine Schauspielerin steht nackt da. Sie hat nur Text und muss darin eine eigene Rhythmik finden, eine eigene Dynamik. Huuu. Unheimlich. Nein, ich habe das rechte Los erwählt (lacht). Aber ich will es auch nicht zu rosig schildern. Wenn du morgens wach wirst und hast abends eine Vorstellung und du hast das Gefühl, dass du nicht bei Stimme bist – das sind Momente von Stress im Quadrat. Oder wenn man im Flugzeug sitzt, umgeben von schniefenden Menschen. Aber wenn man der Angst nachgibt, wird alles noch viel schrecklicher. Man tut das letztlich für die Momente, in denen alles gut läuft, oder sogar besser läuft als erwartet. Das sind Gottesgeschenke, davon muss man dann lange zehren. Und das geschieht mir oft genug. Wie oft ist ‚genug’? Etwa 25 % aller Auftritte, schätze ich. Christa Ludwig hat mal gesagt, sie sei froh, dass sie nicht mehr singt, denn jetzt könne sie endlich mal ohne Schal auf die Straße und ein kaltes Bier trinken. Und da dachte ich: So eingeengt will ich nicht sein. Ich trinke das kalte Bier, auch wenn das bedeutet, dass ich am folgenden Tag die Rechnung bezahle. Und die erkälteten Freunde dürfen auch zu Besuch kommen. Ich will normal leben. Ich will keine Nonne sein” (lacht). 

Ist lachen eigentlich gesund für Sänger? „So wie ich lache absolut nicht“, sie lacht lauthals und heiser wie ein Sack Kieselsteine. „Aber darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Ich kenne Kollegen, die haben ihr Lachen angepasst. (Sie gurrt wie die Cartoon-Figur Betty Boop.) Die spielen doch immer eine Rolle, sind unecht. Ich möchte nicht so denken. Denn wenn man nicht man selber ist, kann man auch niemanden im Innersten erreichen.“

Aus einem Interview in der Zeitung “Het Parool” am 11. Mai 2011, anlässlich der Premiere von Richard Strauss „Der Rosenkavalier“ im Muziektheater Amsterdam, De Nederlandse Opera. Copyright: Erik Voermans