Zu Strauss’ Vier letzte Lieder (Lübeck 2005)

Als ich die Lieder zuerst studiert hatte, waren für mich die schönen Legatobögen im Vordergrund, die schönen Bläserstellen, die Musik, die so breit gefächert ist und so mitreißend und so – nicht sentimental, sondern sehr sinnlich ist, sentimental ist der völlig falsche Ausdruck – sinnlich! Heute, ich bin älter, Freunde sind gestorben, da geht man die Lieder anders an. Die vier  l e t z t e n  Lieder –‚Im Abendrot’, zum Beispiel – da kommen mir manchmal die Tränen, wenn ich zu Hause vor dem Flügel sitze und dann dieses Abendrot aufgeht, vor Augen führt, dass das Lebenslicht vorbei geht – o Gott. Heute sind die Lieder für mich persönlich in dieser Hinsicht noch berührender, als vor ein paar Jahren. Ein Abschied muss ja nicht heißen, es endet  a l l e s. Ich finde, so hoffnungsfrohe, hoffnungsvolle Lieder, die den Tod beschreiben, die die Grenzen beschreiben, habe ich selten gehört. Man hört, dass Strauss ein gläubiger Mensch ist, man fühlt, dass er ein gläubiger Mensch ist. Er hat Eichendorff und Hesse  s o  gefühlvoll umgesetzt in positive Harmonien, positive Linien, da geht einem schon das Herz auf. Wenn man zum Beispiel selbst Freunde hatte, die vor kurzem gestorben sind, deren Tod einem so nahe gekommen ist, da kriegt man auch selbst Hoffnung. Man kann Abschied nehmen, aber das ist ein Abschied von einer  Z e i t , aber dann kommt was Neues. (…)

Ich möchte mit meinen beiden Beinen auf dem Boden stehen und spüren, ich bin völlig normal. Ich bin dabei etwas zu gestalten, aber mit meinen Möglichkeiten, und ich  d i e n e ,  ich versuche zumindest zu dienen, nicht etwas Künstliches aufzusetzen.

Anne Schwanewilms im Interview mit Elisabeth Richter für den NDR, August 2005. Anlass: Abschlusskonzert des Schleswig-Holstein Musikfestivals in der MuK, Lübeck, mit dem NDR-Sinfonieorchester unter Christoph von Dohnányi.