Anne Schwanewilms: “Ich habe meiner Stimme ein schönes Bett gemacht”. (November 2012)

 Die Sopranistin Anne Schwanewilms über ihre zu frühen Wagner-Rollen, eigenartige Aufnahmeprüfungen, und welcher Blumenstrauß sie glücklich macht.

Ende der 90er Jahre sorgte Anne Schwanewilms in Wagner-Partien für Aufsehen, nach ihrer fulminanten Grete in Schrekers „Der ferne Klang“ (an der Berliner Staatsoper) wählten die Kritiker der „Opernwelt“ sie 2002 zur „Sängerin des Jahres“. Inzwischen hat sie ihre musikalische Heimat bei Richard Strauss und im Lied gefunden. Der Weg zum weltweit gefeierten Strauss-Sopran führte die gebürtige Gelsenkirchenerin aber über zahlreiche Hindernisse.

crescendo: Frau Schwanewilms, Sie haben Floristin gelernt und wollten eigentlich Tiermedizin studieren. Sind Sie froh, dass es mit dem Studienplatz nicht sofort geklappt hat?
Ich wäre als Gärtnerin oder Tierärztin sicherlich auch glücklich geworden, aber als Sängerin habe ich Tiefen in mir gefunden, in die ich sonst nie vorgestoßen wäre. Und ich hätte auch nie so viel persönlich von mir zeigen können und dürfen.

Für Ihre Familie war der Berufswunsch Sängerin kein Problem?
Die waren schon etwas befremdet, aber ich hatte ja einen Beruf gelernt und stand finanziell auf eigenen Beinen. Mein Vater hatte nach dem Krieg sogar selbst mal mit dem Gedanken gespielt, Sänger zu werden. Er hat mir eine kräftige Stimme mitgegeben.

Aber zunächst sind Sie zweimal durch die Aufnahmeprüfung gefallen…
Beim ersten Mal vielleicht zu recht, aber beim zweiten Mal ging es nicht mit rechten Dingen zu. In Köln war es so, dass wie beim Eiskunstlaufen das beste und das schlechteste Ergebnis gestrichen und aus dem Rest der Mittelwert gebildet wurde. Es gab Punkte von 1 und 25, und ich hatte zweimal 2 und zweimal 23! Meine damalige Lehrerin hat das mitbekommen und gedacht: So geht es ja nicht. Ich wurde dann per Sondergenehmigung nochmal zur Prüfung fürs Fach Instrumentalpädagogik/Gesang zugelassen, durfte dann nach vier Semestern nochmal eine Aufnahmeprüfung für die Hochschulklasse/Gesang machen – und zwei Semester später hatte ich meinen Abschluss in der Tasche.

Ihr Studium haben Sie 1990 als Mezzo beendet. Dabei sind Sie heute ein gefeierter Sopran…
Dass sich die Stimme verändert, ist gar nicht so ungewöhnlich. Ich war ein richtiger Kontra-Alt, als ich zu studieren begonnen hatte, ich wollte auch immer eine Alt-Stimme haben. Da fühlte ich mich zunächst sehr heimisch. Aber ich habe gemerkt, dass in mir eigentlich etwas anderes steckt. Mitte der 90er Jahre war ich ein hoher Mezzo, und mein Lehrer Hans Sotin meinte, ich solle einer bleiben. Aber ich selbst hatte Zweifel, und ich wollte die Möglichkeit, ein Sopran zu sein, austesten. Und so habe ich allein weitergearbeitet. Ich habe in der Zeit das Zwischenfach gesungen wie Sieglinde und Leonore.

Und dann haben Sie plötzlich Töne in sich entdeckt, die Sie nie erwartet hätten. Wie muss man sich das als Nicht-Sänger vorstellen?
Es öffnen sich Resonanzräume, die man nie benutzt hat. Das ist eine Entwicklung, da gibt es keinen Schlüsselmoment, aber im Rückblick geschah das schon ziemlich „plötzlich“. Es gibt eine frühe Aufnahme der Wesendonck-Lieder von mir, da hört man, dass die ganzen Oberkopfresonanzen noch nicht da sind. Wie denn auch – ich war ein Alt, da braucht man die nicht. Aber wenn die Stimme leichter wird, findet sie auch Räume im Kopf, die dann plötzlich mitschwingen, und dann klingt es ganz anders.

Ist es nicht gefährlich, die Stimme allein zu entwickeln?
Ich habe gute Instinkte. Und das ist ganz wichtig für eine Karriere. Ob man die hat, weiß man vorher nicht. Man muss mutig sein und nein sagen können, wenn einem tolle Sachen mit tollen Maestri angeboten werden. Das liegt nicht jedem. Ich habe zehn Jahre allein gearbeitet, aber ich wäre ich sicherlich in der Entwicklung stecken geblieben, wenn nicht 2006 eine Freundin hinzugekommen wäre, die mir als Lehrerin neue Impulse gegeben hat. Die braucht man irgendwann, und man kann sich auch nicht dauerhaft allein korrigieren.

Ist Richard Strauss Ihr Lieblingskomponist oder nur der Ihrer Stimme?
Das kann man schon gleichsetzen. Die Marschallin im Rosenkavalier ist für mich das reinste Vergnügen. Bei Strauss gibt es die feinen, leichten Töne, die ich damals in mir finden und singen wollte. Ich hatte 2002 einen Terminkalender, der auf Jahre hinaus voll war mit Senta, Leonore und Sieglinde-Walküre – in großen Häusern mit tollen Dirigenten. Aber Konzertangebote kamen gar nicht, stattdessen bot man mir Brünhilde und Elektra an. Das kam mir zu früh. Ich hätte die feinen Töne verloren beim Singen, das wusste ich. Da fehlt dann auf Dauer die Durchschlagskraft in der Mittellage, die ich so nötig brauche, um das Wagner-Fach zu bedienen. Ich habe meine Grenzen gesehen und gedacht, wie lange mag das gut gehen? Ich wollte ja noch eine Weile singen. Also habe ich meine Verträge aufgelöst und verkündet: Ich bin jetzt Strauss-Sopran. Alle dachten, ich spinne, und viele waren auch sauer. Aber irgendwann haben sie es verstanden. Ich habe mir Zeit verschafft, meine Stimme zu entwickeln. Jetzt habe ich meiner Stimme ein schönes Bett bereitet, nun können auch wieder andere Rollen kommen.

Auf Strauss ausruhen wollen Sie sich nicht?
Das geht gar nicht. 2006 durfte ich endlich meine erste Marschallin singen – das sind ja immer enorme Zeitvorläufe in der Oper. Und seitdem singe ich die Partie in allen großen Häusern. Aber das sind ja außer München und Wien alles Staggione-Häuser. Da gibt es eine Produktion, die wird ein paar Mal gespielt, und dann ist sie weg. Und wenn ein Stück dann nach einigen Jahren neu inszeniert wird, nimmt man neue Sänger. Insofern hat man eine Partie irgendwann durch. Man ist gezwungen, neues Repertoire zu lernen. Ich habe noch einiges, was mich interessiert.

Liederabende zum Beispiel?
Als Strauss-Sopran darf man ja auch Liederabende anbieten. Wagner-Sänger werden da nicht so schnell gefragt, der Markt akzeptiert das nicht, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Das ist zum Haare-Raufen! Im Nachhinein muss ich sagen: Lied ist mein Metier, deshalb bin ich Sängerin geworden. 18 oder 20 unterschiedliche Stücke von Null erschaffen mit den einfachsten Mitteln, nämlich nur mit der Stimme und dem Klavier, das ist wunderbar. Liederabende sind meine Inszenierungen. Und die Zusammenarbeit mit den Pianisten kann so schön sein. Demnächst werde ich Schumann und Schubert singen, und ich bin auch wieder auf der Suche nach Raritäten der Schreker-Zeit – von Braunfels zum Beispiel gibt es sehr schöne Sachen.

Warum singen Sie so wenig Zeitgenössisches?
Das mache ich auch, aber da bin ich vorsichtig. Ich weiß von Kollegen, die sich einen Wolf gesungen haben. Das muss ja nicht sein. Es gibt auch so genug Repertoire.

Es klingt, als träfe der Titel Ihrer neuen CD auch auf Sie zu: Ein himmlisches Leben!
Wenn die Töne so kommen, wie ich mir das wünsche, ja. Und wenn man spürt, dass man zuhause angekommen ist. Aber dafür habe ich auch lange gekämpft.

Im Internet habe ich das Zitat eines englischen Kritikers gefunden: „Sie ist vollkommen.“
Schön, wenn er das so sieht. Ich will da nicht widersprechen. (lacht) Aber es gibt schon Dinge, an denen ich immer noch arbeite, und es kommt auch immer wieder was Neues hinzu. Ich bin recht selbstkritisch. Zu selbstkritisch vielleicht. Vieles klingt wie ein Spaziergang, aber diese Leichtigkeit ist das Ergebnis harten Trainings. Da steckt viel Arbeit hinter.

Als gelernte Floristin sehen Sie die Blumensträuße, die nach den Konzerten bekommen, mit professionellen Augen. Wo gibt es denn die schönsten?
Das ist sehr unterschiedlich, mal bekommt man einen wunderschönen, dicken Strauß, mal einen eher bescheidenen – das hängt davon ab, wie viel Geld der Veranstalter noch übrig hatte. Aber man sieht schon die Traditionen. In England zum Beispiel bekommt man flachgebundene Bouquets, die bei uns in der Form eher als Trauergebinde angeboten werden. In Italien ist die Devise: Je größer die Bouquets, desto besser. Aber die schönsten gebundenen Sträuße kriegt man in Holland, die florale Gestaltung hat dort schon lange ihre Tradition, und dazu die günstigen Preise aus dem Amsterdamer Centraal Bloemenverkoop. Da sind immer genug Blumen zum Binden da… Ich freue mich jedenfalls immer über einen schönen Strauß! Ich liebe Blumen nach wie vor.

28. November 2012

Das Interview führte Arnt Cobbers

Klassik Magazin Crescendo