Liederabend | Muziekgebouw, Amsterdam | März 2012
Die 1001 Klangfarben der Schwanewilms
(Der Kritiker beginnt mit einer Erinnerung an den Auftritt von Anne Schwanewilms als Marschallin im Mai 2011 im Muziektheater Amsterdam, eine Aufführung von Strauss ‚Rosenkavalier’, bei der er mehrfach versucht gewesen sei zu rufen, „Nun seid mal alle still und lasst nur diese Frau singen“.)
„Ihr Kleid mit dem eingebauten kleinen Reifen war ein bisschen Marschallinen-haft, aber als die Sopranistin am letzten Sonnabend die Bühne betrat, war sehr schnell klar: Dies ist eine andere Schwanewilms, nicht die des großen Volumens und der großen Opernbühne, hier trat die andere Seite ihrer Kunst ans Licht, die des Liedes.
Mahlers leichte, Liszts eindringliche und Mahlers „schwere“ Musik standen auf dem Programm. Sie sang übrigens ohne Noten und auch die Programmfolge hatte sie im Kopf.
Die ersten drei Lieder aus Mahlers ‚Des Knaben Wunderhorn’ gehörten zum „leichten“ Genre. (…) Anne Schwanewilms wählte eine farbenfrohe, beinahe kabarettartige Vortragsweise. „Ein Spiel mit vielen Rollen“ so lautete der Untertitel dieses Abends. Auf Mahler folgte mit Franz Liszt eine ganz andere Tonsprache. Von Mahlers subtilem Musizieren zum Drama schlechthin in Liszts „Der Alpenjäger“, der hier zu einer Mini-Oper für Klavier und Gesang wurde. In der ‚Lorelei’ (… Liszt / Heine) kam vor der Pause noch einmal alles zusammen: treffsichere Töne, schöne Klangfarben und gut dosiertes Drama. (…)
Mit den ‚Wunderhorn’-Liedern nach der Pause verschob sich der Akzent von lustig nach ironisch; musikalisch waren sie noch fordernder. So konnte die Sängerin nicht nur ihre Ausdruckskraft und ihr Gestaltungsvermögen, sondern auch ihre treffsicheren Höhen unter Beweis stellen. Im Umgang mit den Texten wurde hier offenbar, welch vokales Können Schwanewilms hat. Kraftvoll in der Höhe, zart auch in lang ausgehaltenen Tönen, gab sie die 1001 Klangfarben immer mit einer faszinierenden Kombination von Technik und Musikalität. (…)
Begleiter Charles Spencer hatte musikalisch eine beinahe selbständige Rolle. Mahlers Lieder sind immer wieder wie Doppelkonzerte für Klavier und Gesang. Das lange Vorspiel zu ‚Wo die schönen Trompeten blasen’ war wie eine Klaviersonate und gab Spencer die Chance zu zeigen, was er kann. (…)
Die fünf Rückert-Lieder standen am Ende des Abends. Da war kein „Theater“ mehr, hier hörten wir Spiritualität und Lebensfragen in Text und Musik (…).“