Liederabend | Wigmore Hall, London | 9. September 2013

Bei ihrer Liedermatinee in der Wigmore Hall konnte Anne Schwanewilms alle ihre Qualitäten zeigen:„das unendlich variierte Timbre, die differenzierte Herangehensweise an Texte, die leise schimmernden Klangfarben. Es ist eine Stimme von großer Schönheit mit praktisch perfekter Intonation, aber sie ist gleichzeitig sehr ungewöhnlich – in der Tiefe ein bisschen wie ein Mezzosopran, (…) mit entwickelten Brusttönen, die jedoch nie forciert sind. Wenn sie ins mittlere Register geht, ist da eine Andeutung von Androgynität, aber sie verfügt auch über verführerische weibliche Wärme und mädchenhaft leuchtende Töne. Nur die strahlende Höhe erlaubt einen kurzen, tiefen Blick auf den reißenden Strom, der hinter dem humorvollen Charme und der eleganten Ruhe, die meist an der Oberfläche ihres Gesanges herrschen, fließt. Während dieses ganzen Konzerts verzichtete sie auf große Bewegungen, hielt die Arme entspannt vor sich; sie wagte es, wirklich leise zu singen, blieb aber immer hörbar und fesselnd, weil die Stimme so gut geführt ist, und sich in ihrem Klang und im Gesicht der Sängerin jedes Liedes so lebendig ausgedrückt.

Debussy’s frühe Proses Lyriques (…) wurden bei Schwanewilms zu einem Patchwork schimmernder Momente, einem Mosaik von Klangfarben, immer sorgfältig dem Text entsprechend. Die Texte dieser Lieder sind von Debussy selbst, und es sind höchst deskriptive, poetische Reflektionen zu Szenen oder Abläufen in der literarischen Technik des Bewusstseinsstroms. Schwanewilms und Roger Vignoles, ihr feinfühliger Partner am Klavier, vermochten es, diesen Improvisationscharakter zu erfassen während sie gleichzeitig den starken Stimmungen, die Debussy verlangt, gerecht wurden. In einer Aufführung wie dieser steht die viel diskutierte literarische Qualität der Debussy‘schen Gedichte einfach nicht in Frage.

Die erste Phrase von In der Fremde aus Schumanns Liederkreis op. 39 erschien als eine Kette aus perfektem Legato, entwaffnend in ihrer Schlichtheit und emotionalen Direktheit. Aber es ist nicht nur die silberne, milde Schönheit dieses Liedes und anderer, ähnlicher (Mondnacht war auch außerordentlich besonders), die Schwanewilms besonders lagen – auch die fröhlichen, leichteren Lieder wurden mit all ihrem Charakter und Witz gesungen: Waldgespräch zum Beispiel war ein richtig aufregendes Theaterstück, das eine Geschichte erzählt.

Dass wir dieses große Meisterwerk frisch hören konnten, war ein großes Geschenk. Und noch einmal: Der Beitrag von Roger Vignoles wahrhaft vollendetem Klavierspiel kann nicht genug betont werden. Dies war wirklich partnerschaftliches, kreatives, außergewöhnliches Musizieren.

Sollte es momentan eine bessere Liedersängerin geben, habe ich sie nicht gehört. Hier ist eine Künstlerin auf der Höhe ihrer Kunst. Wahrhaft erlesen.“

Capriccio music blog, 11. September 2013

 

“(…) in den subtilsten Abstufungen wurde das Wesen von Debussys Bildern vom Träumen, vom Meer, von Blumen und von einem Abend in der Stadt erfasst; in De rêve hing das vergehende Leben wie an einem Faden, aber mit silberner Rüstung war die Stimme umgürtet, als die Ritter des Grals herauf beschworen wurden. Mit tödlicher Schärfe erklang das bizarre Bild von den erlösenden Händen, die vor einer zerstörerischen Sonne schützen sollen in De fleur, und wenn die Sonntagsfreuden einer pulsierenden Stadt in Nacht und Schlaf sinken <De soir> werden wir mitgenommen auf eine Magical Mystery Tour. Roger Vignoles als Schwanewilms Partner war ein Magier am Klavier, der Melodien wie aus der Luft heraufbeschwor (…).

Schumanns Liederkreis Opus 39 brachte uns in noch höhere Gefilde des Übernatürlichen: In ein Deutschland, in dem sich plausible Szenen, die jedoch immer eine besondere Wendung nehmen, in – meist – nächtlichen Landschaften abspielen. Die Gesangslinie konnte pures Entzücken verbreiten wie in der Mondnacht, dem Lied, das so vollkommen verzaubert, hier umschlossen von Vignoles mit Tropfen von Mondlicht, die am Ende zur Erde fallen. Aber während Schwanewilms typische weiße Töne uns in fremde Welten zogen, tauchten plötzliche Bedrohungen auf wie Dolche durch Samt. Ein Hauch von Stahl in Loreley, die den galanten Ritter zu seinem Untergang in den Wald lockt; eine hypnotische Hochzeit dunkler Töne mit archaischer Klavierstimme, die einen hundert Jahre alten Ritter in seiner Burg mit der weinenden Braut einer Hochzeitsgesellschaft auf dem Rhein verbindet: Tiefer Schmerz in einem Lied, das nur auf den ersten Blick fröhlich scheint.

In dieser Liedfolge, in der beide Künstler der Bedeutung jeder Note nachgingen, wurde die Modernität Schumanns von beiden Künstlern in einem Lied ganz besonders gefunden: in den unheimlichen Warnungen von Im Zwielicht mit der atemberaubenden letzten Zeile des Dichters Eichendorff „Vieles geht in Nacht verloren. Hüte dich, sei wach und munter“. Ein Ende in völliger Trostlosigkeit.

Ich habe noch nie ein Künstlerduo erlebt, das in einem romantischen Liederzyklus so viel Tiefe mit so leichter Hand auslotet. Perfektion. Die ideale Verbindung von Kopf und Herz.”

theartsdesk.com, David Nice, 10. September 2013